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Der politische Missbrauch von deutschem Liedgut im Nationalsozialismus stellt ein einschneidenden Traditionsbruch dar und führte in der Nachkriegszeit zu einem distanziertem Verhältnis zum politischem Lied. Es wurden nach den Kriegstraumata zunächst leichtere Themen bevorzugt. Zunehmend entstand ein Bruch zwischen der kommerziellen Volksmusik und einer „intellektuellen“ Folklore mit getrennten KünstlerInnen-Kreisen, Märkten und Zielgruppen. In den 50er Jahren wurden einige Versuche von politischer Lyrik unternommen, die auch musikalische Begleitungen und Umsetzungen erfuhr, wie Dieter Süverkrüp, der Texte von Gerd Semmer interpretierte. Die Ostermarsch-Bewegung griff diese Tendenzen auf und bildet das politischen Umfeld einer neuen Protestliedkultur. Auch musikalische Vorbilder der amerikanischen Friedensbewegung wurden ab den frühen 60er integriert. Neben dieser politischen Orientierung beeinflussen wiedergeründete Bündische Gruppen, die in der NS-Zeit verboten waren, die musikalische Entwicklung und trugen zu einem neuen Liedverstandis bei. 

Ursprünge

Prägende Heimstätte der Liedermacherei und magischer Zufluchtsort für eine neue künstlerische Entfaltung wurde die Burg Waldeck. In dieser Burgruine organisierte die Bündische Jugend seit Ende der 50er Jahr nicht nur „Singelager“ sondern auch politische Diskussionen. Aus ihren Kreisen entstand die „Arbeitsgruppe Burg Waldeck“, unter anderem mit Peter Rohland, Hein und Oss Kröher, welche 1964 das erste Waldeck-Festival ins Leben rief, damals noch als „Chanson Folklore International“. Als „Bauhaus der Folklore“ wurde dabei Neuschaffung der deutschen Folklore angestrebt mit entschiedener Abgrenzung zum faschistischen Missbrauch. Diese Rückbesinnung sollte allerdings eher als eine Neudefinition verstanden werden, welche sowohl musikalische Anregungen wie den Chancon, die Singer-Songwriter-Kultur oder die internationale Folklore als auch politische Themen ihrer Zeit aufgriff. Chansons wurden verstanden als selbstgeschrieben und selbstvorgetragen Lieder, was in den Folgejahren des Festivals sogar zum Bühnenkriterium aufgestiegen ist. Der wachsende Erfolg des Pfingsttreffens auf der Burg wurde prägend für die gesamte Szene. Hier kamen KünstlerInnen zusammen, die sich gegenseitig bereichern konnten, es wurden Kontakte zu Musikproduzenten und Intellektuellen geknüpft und ein Publikum aufgebaut und mitbeteiligt. Viele der später erfolgreichsten LiedermacherInnen sammelten in diesem kreativem Rahmen erste Bühnenerfahrungen vor größerem Publikum, wie Franz-Josef Degenhardt, Reihard May, Christof Stählin, Robert & Black und viele andere. Waldeck war allerdings nicht nur der Geburtsort der Liedermacherbewegung, sondern wurde auch von anderen Gruppen genutzt, die teilweise eine andere politische Gesinnung aufwiesen, wie beispielsweise die konservativ patriotischen „Nerother Wandervogel“. Mit dieser Gruppe kam es nach verschiedenen Auseinandersetzung zur hermetischen Abriegelung und zu strikt getrennten Bereichen auf der Burg. Die Anschläge auf das Festival gipfelten 67 mit Brandstiftung und 69 in der Zerstörung der Bühne durch Sprengstoff, bei diesen Vorfällen konnte allerdings die Täterschaft nicht endgültig geklärt werden. Seit seinen Beginn war das MusikerInnentreffen auch als ein politischen Forum angelegt. Auch politische oder zumindest inhaltliche Ansprüche würde in dieser neuen Musikrichtung als identitätsstiftend aufgenommen. In den ersten Jahren ihrer Entwicklung hat diese sogar eine zunehmende Politisierung erfahren. Das Festival wurde schrittweise von der Studentenbewegung vereinnahmt,  politische Diskussionen und Forderungen rückten stärker in den Vordergrund. Der revolutionäre Geist hatte allerdings nicht nur positive Auswirkungen, denn es war damit auch ein teilweise  überhöhter Anspruch an künstlerischer Betätigung verbunden, die zuweilen mit einer regelrechten Kunstfeindlichkeit einherging. „Stellt die Gitarre in die Ecke und Diskutiert mit“ war eine dieser übertriebenen Forderungen an die MusikerInnen. Einige wurden regelrecht der Bühne verwiesen, zum Beispiel Hanns Dieter Hüsche, während andere zu Wortführer auch der radikalen Seite der Studentenbewegung wurden, wie Rolf Schwendter. Im Jahr 1969 wird das Festival nicht von den „traditionellen“ Veranstaltern organisiert, sondern von der „Basisgruppe Waldeck“. Diese vom SDS geprägte Gruppe gestaltet ein revolutionär-politische Diskussionswerkstatt, welche sich stark von der ursprünglichen musikalischen Zusammenkunft abwendete. Dieser Höhepunkt der politischen Einflussnahme relativiert sich nach der Auflösung des SDS. Die zunehmende Kommerzialisierung in der Folgezeit bringt nicht nur förderliche Strukturen mit sich, sondern auch Widersprüche mit den eigenen politische Ansprüche. In den folgenden Jahren entstanden verschiedene Festivals im „Geiste“ von Waldeck, auch zahlreiche Folkclubs wurden ins Leben gerufen und boten der zeitgenössischen Musik eine neue Plattform. Die Burg als Ursprungsort der Liedermacherei blieb ein kreativer Treffpunkt und Konzertforum.

Blütezeit und Ausdifferenzierung

In der politischen Zeit der 70er erleben Protestlieder einen ungeahnten Aufschwung. Die Friedensbewegung wird durch den anhaltenden Vietnamkrieg herausgefordert und um die Kritik gegen Atomare-Aufrüstung und Atomkraftwerke entwickelt sich eine Anti-Atom-Bewegung auf breiter gesellschaftlicher Basis. Dieses Publikum ermöglicht dem politischen Leid einen raschen Aufstieg. LiedermacherInnen greifen diese Themen auf und schafften es den sie umgebenden Zeitgeist in ihren Liedern auf den Punkt zu bringen. Mit ihrer wachsenden Bekanntheit ging auch ein kommerzieller Erfolg einher, der einige von ihnen zu „Stars“ der deutschen Musikszene werden ließ. Auch die Plattenfirmen entdeckten das neue Genre als lukrative Business. Aber die Liedermacherei versprach in diesen Jahren nicht nur Einzelnen große Erfolge, sondern entfaltet auch schnell eine gewisse Breitenwirkung. Zahlreiche MusikerInnen griffen zur Gitarre und versuchten sich an selbstgeschrieben und selbstkomponierten Stücke. Der Musikmarkt konnte vielen sogar Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Der wachsende wirtschaftliche Erfolg stellte einen Kontrast zur anhaltenden Politisierung der Szene dar. Die Notstandsgesetze und Berufsverbote sowie die großen Streiks in den 70er Jahren boten Anlass zur weiteren Radikalisierung. Mit den sogenannten „Flugblattliedern“ entstand sogar ein Liedgut, welches teilweise unabhängig von ihren AutorInnen bekannt wurde und sich durch ihren politischen „Gebrauchswert“ auszeichneten. Walter Moßmann ist ein Vertreter dieses praktischen politischen Funktion des Liedes. Den politischen Anspruch tragen einzelne KünstlerInnen mit, andere fühlen sich unter Druck gesetzt, agieren aus einer gesicherten Privatsphäre heraus und versuchen sich einer Einflussnahme zu entziehen. 

Der wirtschaftliche Erfolg ermöglichte auch eine Ausdifferenzierung der LiedermacherInnenszene. Kinderlieder wurden der nächste Musikzweig, indem politische Inhalte bedeutungsvoller wurden. Einige LiedermacherInnen setzten sich das Ziel das „neue Kinderlied“ zu erfinden, welches über die bürgerliche Moral der Musik für Kinder hinausging und stärker emanzipatorisches bis sozialistisches Gedankengut vermitteln sollte, wie beispielsweise „Der Baggerfahrer Willibald von Süverkrüp. Unter anderem sollte ein anderes Bild von Besitzansprüchen, dem Verhältnis zur Arbeit und zum Konsum, besonders in der Weihnachtszeit geschaffen werden.

Seit Beginn der 70er Jahr entwickelt sich mit dem „Deutschen Folk-Revival“ eine der bedeutensten Nebenströmungen der Liedermacherkunst. Eine intensive Auseinandersetzung mit deutschen Volksliedern ist charakteristisch für diese Bewegung, dessen Neuinterpretationen angeregt wurden durch internationale Folklore und der Wiederentdeckung „alter“ Instrumente. Die vielerorts entstanden Folkclub boten Raum für Workshop, Diskussionen und vor allem Auftrittsmöglichkeiten. Sie boten auch die Möglichkeit einer beginnenden Spezialisierung der Szene. In Austausch mit anderen musikalischen und politischen Bewegungen entstanden „eigene“ Volkslieder und ein spezifischer Typus des „neuen Volksängers“, welcher traditionelles Liedgut zur Identifikation der eigene Künstlerfigur nutzten. Die Überwindung des Traditionsbruch wurde durch die breite Rückbesinnung auf Volkslieder angestrebt, aber auch der Aufstieg dieser Szene führte zu einer zunehmenden Personifizierung auf die der kommerziell erfolgreichen Akteure, wie Zupfgeigenhansel, Ougenweide und anderen. Diese Brücke in die Neuzeit ermöglichte ebenfalls eine Ausdifferenzierung, die mit ihrer Nischenbildung zur musikalischen Neubelebung beitrug. Es entstanden auch Richtungen wie „Happy-Folk“, welche sich bewusst vom politischen Selbstverständnis der Liedermacherbewegung abgrenzten. Die Abgrenzung zur Volksmusik bedurfte in Bezug auf den vielgesichtigen Begriff des Volkssängers eine Konkretisierung. Dieses Abgrenzungsbedürfnis wird auch genährt von einem wiedersprüchlichen Selbstverstandnis, denn während Volksmusik ein eher proletarisches Publikum aufweist, versuchen breite Teile der Liedermacherkultur ebenfalls diese Zielgruppe anzusprechen, während die eigenen „Konsumenten“ aus einem bürgerlichen Umfeld kommen. 

Ein weiterer Zweig am Liedermacherbaum ist die Dialektszene. Viele MusikerInnen bemühen sich um die regionale Sprach- und Liedgutpflege. Dialektlieder können dabei sowohl traditionell wie auch selbstgedichtet sein, verarbeiten die Heimatverbunden der InterpretInnen und würdigen einzelne Regionen in besonderer Form. Diese Strömungen treffen auf ein gesellschaftlich breiter aufgestelltes, aber regional begrenztes Publikum. Viele der DialektsängerInnen, wie Hannes Wader, spielen ihre Lieder zudem auch auf hochdeutsch, um auch einer überregionalen Zielgruppe zugänglich zu bleiben.

Nicht nur der Erfolg nahm zu, sondern auch die Organisation der Szene. 1973 wurde die „AG Song“ (AGS) gegründet, eine gewerkschaftlichen Zusammenschluss von LiedermacherInnen, die Fortbildungen anbot und eine eigene Interessenvertretung organisierte. Diese Plattform bot  besonders für Neueinsteiger einen schnellen Zugang zur Öffentlichkeit. Aktiv sind weniger die „Stars“, welche inzwischen häufiger ihren eigenen Werdegang im Blick haben, sondern die Vereinigung wird getragen von den bis zu 1200 KleinkünstlerInnen, für welche die Vernetzung durch Auftritts- und Produktionsmöglichkeiten auch ökonomische Vorteile bietet. Zeitweise konnte die AGS den Ansturm an neuen KünstlerInnen kaum bewältigen. Der damit verbundene Qualitätsverlust wird allerdings nicht als Bedrohung der Szene angesehen, sondern das Selbstbild als breite Kulturbewegung „von und für alle“ wird beibehalten. Die vielseitige Differenzierung in stilistischer und ideologischer Hinsicht ist allerdings auch mit einer Zergliederung dieser Bewegung verbunden. Mit dieser Grundlage wird das folgende Jahrzehnt betreten, welches ungeahnte politischen und musikalische Umbrüche mit sich brachte. 

Aufmerksamkeitsverluste und Sinnkrise 

In den frühen 80er wurden zahlreiche Musikwettbewerbe ins Leben gerufen, welche vielen NachwuchskünstlerInnen nicht nur eine Bühne bot, sondern auch die Möglichkeit einer breiteren Wahrnehmung. Ein zunehmendes Interesse an deutschsprachige Popmusik in Form der „Neuen Deutschen Welle“ und der experimenteller Einsatz elektronischer Möglichkeiten verändern den bundesrepublikanischen Musikmarkt. Anfänglich bezeichnen sich sogar noch VertreterInner dieser neuen Strömung als LiedermacherInnen, zum Beispiel Heinz-Rudolf Kunze, Ulla Meineke oder Klaus Lage. Diese Schnittmengen werden allerdings schnell kleiner und der Erfolg der neuen Konkurrenz führen zu Aufmerksamkeitsverluste der alten Hasen im Speziellem und der gesamte Szene im Allgemeinen. Mit diesem Niedergang waren Publikumsverluste verbunden, ebenso wie der erschwerte Zugang zu Plattenfirmen und Medien. Diese strukturellen Veränderungen führten zu einer Sinnkrise, welche die Aufarbeitung bereits bestehender Spaltungsprozesse verhinderte. Einige  machen sich zu Opfern eines kulturellen Wandels, andere reagierten mit Rückzug auf „privaten Inseln“ und reduzierten ihren gesellschaftlichen Blick nachdem die fetten Jahr nun leider vorbei waren. Als die Welt 1986 in Schock gerät angesichts der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl und erneut mit der existenzielle atomare Bedrohung konfrontiert wird, kommt es zu einer Wiederbelebung der Protestkultur. Doch viele der alten Bekannten sind inzwischen soweit von der Szene entfernt, dass sie zwar weiterhin politische Lieder beisteuern, sich aber nicht mehr als „LiedermacherInnen“ bezeichnen. Andere kritisieren öffentlich den unangemessenen Umgang mit der Katastrophe. Der fortgeschrittene Zerfall der Szene bezeugt die teilweise gereizte Reaktionen auf eine derartige Kritik. Der Typus der politischen LiedermacherIn schien in diesen Tagen überholt zu sein. Auch der eigenen strukturellen Organisation und Vernetzung geht die Luft aus, Ende der 80er kommt es in der AG Song nur noch zu vereinzelten Treffen.

Folk und Liedermacherei in der DDR

In Ostdeutschland ist das Aufkommen der Liedermacherei ebenfalls eng mit der Wiederbelebung deutscher Folkmusik verbunden. Ursprünglich wurde diese angeregt von der Singebewegung, die seit Mitte der 60er besonders SchülerInnen und StudentInnen zum gemeinschaftlichen Musizieren verband. Diese Bewegung wurde zunehmend von der FDJ vereinnahmt und auf sozialistischen Kurs gebracht, sie regte allerdings auch ein freieres und kritisches Musikverständnis an. Ort der Zusammenkunft wurde auch hier ein Festival, das erstmals 1955 stattfindende internationale Folkfestival in Rudolstadt. Internationale Einflüsse wirkten auch in Ostdeutschland belebend auf die eigene folklorische Rückbesinnung. Federführend und stilprägend für die gesamte Bewegung wurde die Leipziger Gruppe Folkländers, welche 1976 aus studentischen Kreisen gegründet wurde. Diese Gruppe rief auch seit 1976 zu einer offenen Folkwerkstatt in Leipzig aus, was als Geburtsstunde der stilistischen Eigenständigkeit angesehen werden kann. Das Folk-Revival wurde, ähnlich wie in Westdeutschland, geprägt durch die Wiederentdeckung von Liedgut, welches wegen seiner Aufmüpfigkeit aus den Schulen verbannt wurden und möglicherweise sogar deswegen einen besonderen Reiz auslöste. Auf beiden Seiten der Grenze wurden sogar teilweise die gleichen Lieder aus früheren vereinten Zeiten gesungen. Doch in der DDR hatten sie einen spezifisch politischen Wert, denn mit den führungskritischen Liedern der vergangenen Jahrhunderte konnte auch verblümte Kritik am SED-Regime geübt werden. Praktischer Nebeneffekt war in diesem politischen Umfeld, dass man die Kritik mit dem Verweis auf Tradition sogar von sich weisen konnte. Dieser doppelte Boden ist zugleich sinnstiftend und lebenserhaltend für die ostdeutsche Folkszene. Auch hier war diese musikalische Erneuerung aus einem studentischen Umfeld erwachsen, begann schrittweise auch Interesse in breiteren gesellschaftlichen Kreisen zu wecken und regte schließlich andere Bewegungen an, welche aus ihr erwachsen sind. Eine dieser Folgeerscheinungen, welche sich anschließend natürlich verselbstständigte, war die skeptische beäugte Straßenmusikszene. Auch  eine Tanzbegeisterung entstand, die beeinflusst wurde von der ungarischen Tanzhausbewegung und als weitgehend politisch unverdächtig galt. Wegen dieser staatlichen Einschätzung boten die seit 1981 regelmäßig in Leipzig und anderen Orten stattfindende Tanzveranstaltungen einen besonderen Schutzraum. Wirtschaftlich war die Folkszene zu DDR-Zeiten relativ gut aufgestellt. Es gab zahlreiche Jugendclubs, die über eigenes Budget verfügten und vielen Bands lukrative Auftrittsmöglichkeiten bot. Diese Absicherung endete schlagartig mit der Wende, welche der Szene mit der bestehenden Infrastruktur buchstäblich die Beine wegschlug. Die kontinuierliche Leidenschaftlichkeit von vielen KünstlerInnen, welche die Bewegung von Anfang an trugen, half ihr auch über diese Krise. Einen Neustart nach der Wende wurde auch in Rudolstadt gewagt, wo sich aus den alten folkloristischen Wurzeln ein Weltmusik-Festival mit großer Anziehungs- und Ausstrahlungskraft entwickelte. Bis Heute hat sich die Lebendigkeit der ostdeutschen Folkszene bewahrt und mit der zunehmenden Differenzierung ist ein beachtlicher Facettenreichtum entstanden.

Zensur und politischer Missbrauch

Bei der aufkommenden Liedermacherbewegung, die zwar nicht ausschließlich aber zumindest überwiegend eigene Lieder inszenierte, gab es die Lebensversicherung der traditionellen Musik  nicht. Der Umgang mit der Zensur war vielfältig. Einige versuchten sich auf weniger politische Themen zu beschränken, andere bemühten sich um eine verklausulierte Sprache und wieder andere mussten wegen ihrer deutlichen Kritik einschneidende Konsequenzen hinnehmen. Die Zeit zwischen 1976 und 1983 war eine besonders heikle Phase dieser politischen Einschränkungen. Es waren zwar einige inhaltlichen Äußerungen durchaus möglich, solang der Rahmen als unbedenklich angesehen wurden. Wenn allerdings die Aufmerksamkeit und die gesellschaftliche Wahrnehmung einzelner Künstler zu groß wurde, machte der SED-Staat ernst. Viele Kritiker wurden mit Auftrittsverbot behindert. Dabei wurde die Kirche zu einem musikalischen Schutzraum, denn einige der verbotenen KünstlerInnen suchten Zuflucht auf kirchlichen Bühnen, die von staatlichen Einschränkungen weniger betroffen waren. Höhepunkt dieser Konfrontation waren die Ausbürgerung von bekannten LiedermacherInnen, wie Wolf Biermann, Bettina Wegner und Stephan Krawczyk. Das Schema dieser Strategie waren häufig miteinander vergleichbar. Den SystemkritikerInnen wurde zunächst eine Ausreise für Auftritte im westlichen Ausland gewährt. Bei der Wiedereinreise wurde ihnen allerdings unter inhaltlichen und inhaltslosen Anschuldigungen eine langjährige Gefängnisstrafe angedroht, es sein den sie würden ihrer Ausbürgerung zustimmen. Viele konnten sich diesen letzten gangbaren Weg nicht verwehren und wendeten der DDR den Rücken. 

Während sich die Liedermacherei unter diesen politischen Druck stand, konnte sich die Folkszene ungehinderter weiterentwickeln. Aber auch diesem musikalischen Raum gab es politische Zwischenfälle. Ein Beispiel, welches die Wiederspüchlichkeit des politischen Systems offenbarte, ist das Lied „Der unerbittliche Hauptmann“, welches von der Gruppe Landluper für den Rundfunk der DDR aufgezeichnet wurde und dennoch wegen seine antimilitärischen Botschaft für die Gruppe zu einem einjährigen Auftrittsverbot führte.

Die Zensur darf allerdings keinesfalls als ein spezifischen ostdeutsches Phänomen verstanden werden, denn auch in der Bundesrepublik gab es Grenzen der politischen Meinungsäußerung. Im System des öffentlichen Rundfunks wurden große Sendeanstalten mit weitreichenden amtlichen Vollmachten ausgestattet und zu „Anstalten des öffentlichen Rechts“ erhoben, womit auch die staatliche Aufsicht, Förderung und Regelung verbunden ist. Auch wenn hier keine staatlich gelenkte Zensur vorlag, stellte die Veränderung und Absetzung von Sendungen und Beiträgen mit satirisch-kritischen Inhalten eine Vorform der politischen Einflussnahme dar, welche nicht mit der verfassungsmäßige Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit vereinbar war, die es eigentlich zu verteidigen galt. Es war eine freiwillige Selbstzensur von einzelnen EntscheidungsträgerInnen, welche bei vertraglich zugesicherte Sendungen die Ausstrahlten verhinderte oder Auftritte, einzelne Lieder oder Meinungsäußerungen herausgeschnitten hat und damit ein verfälschendes Bild inszenierte. Auch wenn es sich hierbei nicht um gelenkte Eingriffen handelte kann durchaus von einer strukturierten inhaltlicher Beschneidung gesprochen wenden, die allerdings nur teilweise abgestimmt war. Häufig wurden aus Einzelentscheidungen Präzedenzfälle, an denen sich andere Verantwortliche orientierten. Einige VertreterInnen der Szene, wie „Floh de Cologne“, spürten zeitweise einen starken medialen Gegenwind. Auch bestimmte Inhalte, beispielsweise die Positionierung der Bewegung zum Radikalenerlass, wurden zur Zielscheibe öffentlich-rechtlicher Ausgrenzung.

Während in der Bundesrepublik nach dem Missbrauch der NS-Zeit zunächst eine Distanzierung zum politischen Lied vollzogen wurden, fand in der Deutschen Demokratischen Republik eine ideologische Kehrtwende statt. Liedgut wurde hier eingesetzt zur Bildung einer sozialistischen Gesellschaft und Persönlichkeit. Unter diesem Missbrauch mit anderen Farben konnten sich nur zögerlich kritische musikalische Strömungen entwickeln. Die politische Indoktrination kam in beiden Teilen des Landes auch im Liedermacher-Gewand daher. In der BRD gab es Vereinnahmungsversuche von verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Seiten. Linke Parteien und Gewerkschaften versuchten die Strahlkraft von LiedermacherInnen für sich zu nutzen.  Der Breitenwirkung der Szene weckte auch Begehrlichkeiten anderer politischer Strömungen. Die CDU versuchte seit 1978 eigene LiedermacherInnen, wie Gerd Knesel, aufzubauen, welche ihre Botschaften auf musikalischen Wege unters Volk bringen sollte. Die Reaktionen auf diese neue KollegInnen reichen von Ignoranz bis zu harschen Anfeindungen. Diese Plastikfiguren verschwanden glücklicherweise trotz medialen Freiräumen und parteilichen Bühnen schnell wieder in der Versenkung. Besorgniserregender ist, dass seit Ende der 80er Jahre auch rechtsextreme LiedermacherInnen aktiv sind, die rechtes Gedankengut und Volksverhetzung hinter seichten Tönen verschleiern. Diese Randerscheinungen dürfen nicht als unbedeutend abgetan werden, sondern müssen als Warnzeichen für eine rechte Strategie für einen gesellschaftlichen breiteren Zugang ernst genommen werden.

Aktuelle Entwicklung

Nach den Wahrnehmungsverluste und der Sinnkrise der Liedermacherei in den 80er begann nach der Wende eine Phase der Individuation. Der Publikumsrückgang führte auch zum Niedergang der städtischen Folkclub. Diese geschwächte Infrastruktur wurde in der Folgezeit weiter hinuntergewirtschaftet, denn kommunale Sparmaßnahmen folgte ein Sterben von subventionierten Kultureinrichtungen und ein dramatischer Rückgang der Konzertaufwendungen. Nach dem Sturz der Stars im vergangenen Jahrzehnt folgte in den 90er Jahren wirtschaftliche Nöte für den Kleinkunstbereich. Damit war auch eine allgemeine Verkleinerung der Szene verbunden. Aber es wandten sich nicht nur VertreterInnen ab und kehrten sich anderen Projekten zu, sondern es trat auch Nachwuchs auf die Bühne. Diese neue Generation hebt sich textlich und musikalisch von ihren VorgängerInnen ab. Mit dem Begriff „Liedermaching“ ist in Teilen der Bewegung ein neues Selbstverständnis verbunden. Bands aus diesem Bereich sind unter anderem „Joint Venture“ und „Monsters of Liedermaching“. An Stelle der strukturieren Vernetzung traten projektartige Kooperation und längerfristige Zusammenarbeit einzelner KünstlerInnen.

Allgemein hat das Interesse an deutschsprachiger Musik kaum nachgelassen. Die Nachfrage des Musikmarktes wird durch vielfältige Stilrichtungen gestillt und auch die Liedermacherei ist aus diesem Repertoire nicht mehr wegzudenken. In einer medialen Welt, in der nicht mehr ein Sender auf viele Empfänger trifft, sondern diese zugleich selbst Sender darstellen, behalten musikalische Nischen nicht nur ihre Existenzberechtigung, sondern können auch in diesem Umfeld gedeihen.. Diese Differenzierung findet auf digitalen Plattformen statt, welche das 21. Jahrhundert prägen werden. Die mediale und stilistische Zugänglichkeit bietet enorme Entwicklungspotentiale. 

Wir freuen uns auf eine Renaissance der Liedermacherei!

Literatur

Hanneken, Bernhard, 2002: Folk in Nordrein-Westfalen. S. 11 – 76 in. v. Zahn, Robert (Hrsg.), Folk   

     & Liedermacher an Rhein und Ruhr. Münster: Agenda Verlag.

Kirchenwitz, Lutz, 1993: Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR. Berlin: Dietz Verlag.

Rothschild, Thomas, 1980: Liedermacher. Frankfurt am Main: Fischer Verlag.

Schmidt-Rhaesa, Philipp, Entwicklung der Liedermacherei. URL: http://www.detlev-mahnert.de/waldeck.html (letzter Zugriff: 08.03.2022)

v. Zahn, Robert, 2002: pläne und der Aufstand gegen die Republik. S. 77 – 128 in. v. Zahn, Robert

     (Hrsg.), Folk & Liedermacher an Rhein und Ruhr. Münster: Agenda Verlag.

Stand: März 2022